Buch: Angelika B. Hirsch: Stroh zu Gold spinnen. Rumpelstilzchens Sitz im Leben. (2013)

Ausstattung: Buch, Paperback, 106 Seiten.

Inhalt: Das Märchen Rumpelstilzchen wird therapeutisch zur Lebenshilfe und Krisenbewältigung eingesetzt.

Kurzbewertung: Ein lesenswertes Buch für die, die wissen wollen, inwiefern Märchen helfen können, eigene Lebenskrisen zu verstehen und zu bewältigen. Die Grenzen dieser Methode werden dabei leider nicht kritisch in den Blick genommen.


Rezension:
Im Mittelpunkt dieses Buches steht eines der bekanntesten, faszinierendsten und vielleicht auch widersprüchlichsten Märchen aus der Sammlung Grimm: Sein Titel lautet „Rumpelstilzchen“, es beginnt mit: „Es war einmal ein Müller…“, und die Hauptfigur ist die schöne Müllerstochter, die unverschuldet in die bekannte Notsituation gerät. Angelika B. Hirsch will mit ihrer Märcheninterpretation Lebenshilfe leisten. Sie zeigt, wie Märchen wie „Rumpelstilzchen“ helfen können, eigene Lebenswege und -krisen besser zu verstehen, eine wichtige Voraussetzung zur Akzeptanz und Bewältigung der Krise; ganz analog dazu, wie die einfache Tochter und spätere Königin, den Dämon Rumpelstilzchen besiegt, indem sie in der Lage ist, seinen Namen zu sagen.
Das Buch besteht aus einem Prolog, Epilog und sieben Kapiteln, in denen jeweils einzelne Abschnitte des Märchens im Zentrum stehen und verschiedene Menschen zu Wort kommen, die das Märchen in Bezug auf ihre eigene Lebensgeschichte deuten. Dabei wird deutlich, dass das Märchen nicht einfach nur ein „Märchen“ im Sinne einer „unwahren Geschichte“ ist, sondern hier „gut fundiertes Menschheitswissen“ (S. 10) gespeichert ist, wie die Autorin eingangs bemerkt. Auch wenn man leider nicht erfährt, wann, unter welchen Bedingungen und in welchem Kontext die Personen über ihre persönliche Rumpelstilzchendeutung berichten, sind es tragische, erschütternde und teilweise auch sehr anrührende Schicksale. Da ist zum Beispiel die 61 Jahre alte Margitta N., die vor langer Zeit in der DDR ihren Sohn durch einen Schlittenunfall verliert, und dadurch förmlich aus ihrem bisher relativ geordneten Leben geworfen wurde; oder die 34 Jahre alte Franziska B., die einige schwierige Beziehungen durchlebt hat und dabei sogar in die Fänge eine Psychosekte geraten ist. Hirsch zeigt, wie es diesen Menschen gelingen konnte, ihre eigene verworrene Lebensgeschichte ein Stückweit zu entwirren, indem sie für sich persönlich das Rumpelstilzchenmärchen deuteten. Dafür gibt Hirsch einige Interpretationsmuster vor und erläutert diese ausführlich. Grundsätzlich interessant ist dabei ihr Versuch, parallele Geschichten, Mythen und Märchen einzuflechten, nur leider bleibt sie dabei oft recht vage, erläutert die genauen Zusammenhänge meines Erachtens zu wenig und stellt die Verbindungen nicht immer explizit genug heraus.
Auch die immer wieder zutage tretende Widersprüchlichkeit der jeweiligen Interpretationsansätze bleibt unerklärt. Dass das Märchen „Rumpelstilzchen“ selbst wie auch seine Figuren sehr ambivalent sind, wird kaum thematisiert.
Nehmen wir als Beispiel die zentrale Metapher des Buches. Die zum Opfer gewordenen Menschen, die in einer Lebenskrise stecken, sollen „Stroh zu Gold spinnen“. Hirsch sagt, den fünf Menschen, von denen sie berichtet, sei dies gelungen. Aber kaum einer sah sich selbst als Rumpelstilzchen, fast alle identifizierten sich ausnahmslos mit der Müllerstochter. Im Märchen aber war es das Rumpelstilzchen, das gesponnen hat, während die Müllerstochter lediglich zugesehen hat und selbst als Königin später bei der Ermittlung seines Namens passiv geblieben ist. Man kann natürlich annehmen, dass das Rumpelstilzchen – vielleicht ähnlich wie bei Goethe der Mephisto für Faust – die unbewusste Seite der Tochter verkörpert, aber das wird von Hirsch nicht thematisiert. Zudem müsste dann weiter gedeutet werden, warum diese unbewusste Kraft, der es gelungen ist, Stroh in Gold zu verwandeln, am Ende vernichtet wird.
An solchen Stellen wird deutlich, wie beliebig die Märchenbilder zuweilen analysiert werden, damit sie in das Schema passen, in das sie passen sollen. Hier wäre es wünschenswert gewesen, sich zum einen intensiver mit den verschiedenen Interpretationen, die zu diesem Märchen vorliegen, auseinanderzusetzen, und zum anderen die Grenzen dieses therapeutischen Ansatzes zu reflektieren. Sicherlich war das nicht das zentrale Anliegen der Autorin, aber so wird nicht ersichtlich, wieso gerade Märchen (und nicht jede beliebige andere Textgattung, Bilder o.ä.) so wichtig sein können für die Therapie von Menschen, die von schweren Schicksale ereilt wurden.

Fazit: Das Buch wendet sich vor allem an Menschen, die „Opfer“ geworden sind, und an ihre Therapeuten, wie die Autorin selbst eingangs betont (vgl. S. 9). Für alle anderen hingegen, ist es vermutlich eher weniger interessant.