Buch: Warner, Marina: Es war einmal. Die Magie der Märchen. Erste Auflage (2017/2014)
Ausstattung: Paperback, 208 Seiten.
Inhalt: In neun Kapiteln gibt es einen umfassenden Überblick über die europäische Märchenrezeption aus englischer Perspektive.
Rezension:
Marina Warner ist eine englische Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin, die sich schon seit langem mit Märchen befasst. Sie hat dieses lesenswerte Buch verfasst, das schon 2014 in England publiziert wurde, aber erst seit 2017 auf Deutsch erschienen ist.
Das Buch gliedert sich in neun Kapitel, eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog. In den Kapiteln umkreist sie das Märchen in einer losen, aber durchaus nachvollziehbaren Systematik. Dabei nehmen die Märchen der Brüder Grimm zwar eine zentrale Rolle ein, stehen aber keineswegs im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. Es ist vielmehr eine englische Perspektive auf das Märchen mit Blick auf die international bedeutsame Märchenkultur. Sie beleuchtet ebenso die italienischen und französischen Vorläufer der Grimms sowie die englische Tradition der fairy tales. Zudem macht sie auch Schlenker zu Tolkien, Lewis Carroll und stellt in einem Kapitel ausführlich die Märchenadaptionen im Bereich des Theaters, der Oper und des Films vor.
Besonders hervorzuheben ist, dass diese Studie zu einem sehr kenntnisreichen und breiten Rundumschlag über das Märchen ausholt. Man erhält eine große Fülle an Literaturtipps und interessanten Denkanstößen zum Thema Märchen. Auch wird die bisherige Märchenforschung gut zusammengefasst. Märchen werden nicht nur aus literaturwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet, sondern auch aus soziologischer und feministischer Perspektive und – in einem besonders zu empfehlenden Kapitel namens „Auf der Couch“ – aus psychologischer Perspektive.
Hinzu kommt, dass die Übersetzung sehr gut gelungen ist, denn der Übersetzer Holger Hanowell hat einige hilfreiche Anmerkungen ergänzt. Zudem hat er wichtige bzw. schwer zu übersetzende Begrifflichkeiten in Klammern hinzugefügt, so dass man als Leser/in dieser Studie immer einen guten Überblick behält.
Kritisch ist hervorzuheben, dass aufgrund des essayistischen Stils nicht immer die durchaus vorhandene, aber eher lose Systematik präsent bleibt. Auch wird die Frage nach der „Magie des Märchens“ allenfalls indirekt thematisiert, nämlich nur dann, wenn man die Magie darin sieht, dass Märchen, wie hier beschrieben, eine unheimlich lange Geschichte und Rezeptionsgeschichte haben. Im Original lautet der Untertitel auch anders, nämlich „A short history of fairy tale“. Dieser Titel wird aber ebenso nur teilweise der Studie gerecht.
Fazit: Eine lesenswerte Studie über Märchen: gut geschrieben, wissenschaftlich fundiert und gut übersetzt. Eine Fundgrube für Märchenfreunde, die über den Tellerrand schauen und verstehen wollen, wie sich das Märchen nach Grimm im 20. und 21. Jahrhundert weiterentwickelt hat. Das Buch hat eine unverkennbar englische Perspektive und genau das macht es für deutsche Leser/innen interessant. Durchaus empfehlenswert.