Buch: Schwake, Timotheus: EinFach Deutsch Unterrichtsmodell Märchen. Braunschweig 2019. Ausstattung: Paperback (A4), 186 Seiten.
Ausstattung: Paperback (A4), 186 Seiten.
Inhalt: In fünf „Bausteinen“ werden konkrete Unterrichtsvorschläge zum Thema Märchen im Unterricht vorgestellt. Die Bausteine 1-4 beziehen sich auf die Unterstufe (Klasse 5-6), der fünfte Baustein über Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ auf die Oberstufe (Klasse 10-12). Das Buch bietet Sachanalysen, Unterrichtsideen, Tafelanschriebe und Arbeitsblätter (als Kopiervorlagen) sowie zwei Vorschläge für Klassenarbeiten mit Erwartungshorizont.
Wer Deutschlehrer/in ist, kennt wohl die erfolgreiche von Johannes Diekhans herausgegebene Reihe „EinFach Deutsch“, die früher bei Schöningh und seit einiger Zeit bei Westermann erscheint. Zu unterschiedlichen Themen werden ausführliche Unterrichtsmodelle geboten. Nun liegt endlich ein solches Modell zum Thema „Märchen“ vor. Auf 186 Seiten werden vier „Bausteine“ für die Erprobungsstufe präsentiert und ein fünfter für die Oberstufe. Je nach Lerngruppe, Zeit und Schwerpunkt kann die Lehrkraft aus diesen Bausteinen jeweils kleine Sequenzen auswählen und nach Bedarf ggf. auch abändern. Man kann so den konkreten Unterricht eng an dieses Konzept anbinden (inklusive der Tafelbildvorschläge), die Bausteine aber auch als Inspirationsquelle für ein eigenes Unterrichtskonzept verwenden. Das Unterrichtsmodell „Märchen“ von Timotheus Schwake ist wie folgt aufgebaut:
Baustein 1: Mögliche Unterrichtseinstiege (mit fünf Arbeitsblättern).
Hier werden fünf unterschiedliche Zugänge zum Thema Märchen vorgeschlagen, z.B. ein Märchenquiz, ein Märchensteckbrief zum Selbsterstellen oder ein Kreuzworträtsel. Besonders interessant finde ich ein weiteres Arbeitsblatt, das sich kritisch mit dem Thema „Märchen und Konsum“ bzw. „Märchen und Werbung“ auseinandersetzt, was in der schulischen Märchendidaktik bisher kaum eine Rolle spielt. Allerdings wäre hier zu überlegen, ob man dieses nicht vielleicht erst später, z.B. am Ende einer Unterrichtsreihe einsetzt.
Baustein 2: Märchen unter der Lupe – Gattungsmerkmale erarbeiten (mit sieben Arbeitsblättern).
Vorrangig werden hier anhand ausgewählter Märchen der Brüder Grimm typische Märchenmerkmale erarbeitet, die die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe von Arbeitsblättern weitgehend selbständig erarbeiten können, und die anschließend mit anschaulichen Tafelbildvorschlägen systematisch und übersichtlich gebündelt werden. Hervorzuheben ist, dass dies mit solchen Grimmschen Märchen geschieht, die oft auch in den gängigen Schullehrwerken zu finden sind: „Die Bienenkönigin“, „Prinzessin Mäusehaut“, „Jorinde und Joringel“, „Der alte Großvater und sein Enkel“ und „Die sieben Raben“. Die Märchentexte finden sich aber auch auf den Kopiervorlagen, falls das Märchen nicht im Schulbuch stehen sollte.
Baustein 3: Mit Märchen kreativ umgehen – Die Märchenwerkstatt (mit neun Arbeitsblättern).
In der Schule geht es nicht nur um die Analyse von Märchen (vgl. Baustein 2), sondern immer auch um den kreativen Umgang damit. Wie man ein gutes Märchen schreibt, lernt man in diesem dritten Baustein. Neben den üblichen Ideen (ein Märchen zu einem Bild oder einer Wortkette verfassen oder einen Märchenanfang fortsetzen) findet man hier auch einige etwas ausgefallenere Impulse. So wird beispielsweise vorgeschlagen, Grimms Märchen „Der Dummling“, das nur als Fragment vorliegt (in der Urfassung als Nr. 13), à la Wilhelm Grimm selbst auszugestalten (vgl. S. 94). Zudem können auch ein Gruselmärchen geschrieben oder Bildergeschichten zu bekannten Märchen in Wort und Bild ausgestaltet werden (Frank Flöthmanns „Froschkönig“ oder Rotraut Susanne Berners „Frau Holle“).
Baustein 4: Märchen aus aller Welt (mit sieben Arbeitsblättern).
Der interkulturelle Aspekt von Märchen steht im Mittelpunkt dieses Bausteins. Hier findet man Arbeitsblätter zu sieben Märchen aus aller Welt: „Das Geschenk des Löwen“ (Afghanistan), „Mani“ (Lateinamerika), „Der Prinz mit den Eselsohren“ (Portugal), „Der Turm zum Mond“ (Orient), „Als der alte Mann von der großen Mauer sein Pferd verlor“ (China), „Das Töpfchen“ (Türkei) und „Ein Wunsch ist frei“ (Bretagne). Auch diese Arbeitsblätter bieten gewinnbringende Impulse, die einerseits eine inhaltliche Vertiefung zu den vorangegangenen Bausteinen ermöglichen, andererseits religiöse bzw. philosophische Fragestellungen eröffnen, wenn z.B. die Hybris des Königs in „Der Turm zum Mond“ thematisiert und das Märchen anschließend mit dem „Turmbau zu Babel“ (Gen. 11,1-9) verglichen wird. Interkulturelle Lernanlässe hätten hier allerdings noch stärker eröffnet werden können, und die wenigen Ansätze zu einem interkulturellen Märchenvergleich verbleiben manchmal ein wenig oberflächlich, was sich beispielsweise in der Ankreuzaufgabe zum türkischen Märchen „Das Töpfchen“ (S. 123) zeigt. So sollen Schüler als ein typisches Merkmal eines türkischen Märchens benennen, dass dieses einen ungewöhnlichen Anfang und einen ungewöhnlichen Schluss habe. Das ist zwar nicht falsch, aber etwas sehr vereinfacht und stereotyp. Im didaktischen Kommentar wird dies auch nur recht oberflächlich erläutert, wobei den Grimmschen Märchen sogar generell eine „naive Moral“ unterstellt wird (S. 122).
Baustein 5: Zwischen Romantik und Realismus – Ein Märchen für die Oberstufe: Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ (mit fünf, z.T. mehrteiligen Arbeitsblättern).
Der letzte Baustein, der losgelöst von den übrigen Bausteinen zu sehen ist, widmet sich der Märchenarbeit in der Oberstufe. Es geht darum, Hauffs Kunstmärchen „Das kalte Herz“ unter Bezugnahme auf den hier zum Ausdruck kommenden Epochenwandel (Romantik/Realismus/Aufklärung) zu untersuchen. Außerdem werden die Figuren und die Figurenbeziehungen mit Hilfe der Identitätstheorie von Krappmann und dem psychoanalytischen Instanzenmodell von Freud genauer unter die Lupe genommen. Mit unterschiedlichen methodischen Vorschlägen wie Gruppenpuzzle oder Lerntempoduett wird abschließend sogar die Kapitalismuskritik, die in diesem Märchen zum Ausdruck kommt, entschlüsselt. Ein überzeugender Entwurf, der deutlich macht, dass Märchen nicht nur in die Grundschule und die Unterstufe gehören, sondern auch ein wichtiger Unterrichtsgegenstand für höhere Klassenstufen sein können.
Fazit: Ein überraschend gutes, vielseitiges und umfassendes Buch für Deutschlehrkräfte, insbesondere für Referendarinnen und Referendare und allgemein interessierte MärchenpädagogInnen. Es bietet eine Fülle von anregenden Unterrichtsideen, die sich in der Regel praktisch gut umsetzen lassen. An einigen Stellen dürften Schülerinnen und Schüler aber auch etwas überfordert sein. So sollen sie zum Einstieg in die Reihe in einem Quiz erraten, zu welchem Märchen dieser Spruch gehört: „Was macht mein Kind, was macht mein Reh? / Nun komm ich noch zweimal und dann nimmermehr“ (S. 22, Antwort: „Brüderchen und Schwesterchen“). Oder sie sollen „Die Sterntaler“ mit Georg Büchners Fassung aus dem „Woyzeck“ vergleichen. Hieran wird deutlich, dass die Vorschläge in diesem Buch sich vorwiegend an leistungsstarke Lerngruppen richten und selbst diese könnten an einigen Stellen überfordert sein. Eine Auswahl und eine Anpassung der Materialien an die konkrete Lerngruppe bleiben daher unumgänglich, was aber kaum den praktischen Nutzen dieses Unterrichtsmodells schmälert.