Buch: Michael Sahr: Zeit für Märchen. Kreativer und medienorientierter Umgang mit einer epischen Kurzform. 2. Aufl. (2007)
Ausstattung: Paperback (s/w), 181 Seiten mit vier Kopiervorlagen und zahlreichen Abbildungen.
Inhalt: Ein sehr informatives Buch über die Bedeutung der Märchenpädagogik in der Grundschule mit vielen allgemeinen Informationen zur Textgattung und konkreten didaktischen Vorschlägen, die gut durchdacht und praktikabel erscheinen. Ein Schwerpunkt liegt hier sowohl im produktionsorientierten Arbeiten als auch in der Berücksichtigung verschiedener medialer Ausdrucksformen.
Rezension:
Das Buch vom Lehrer und Hochschullehrer Michael Sahr (1939-2005) ist in zwei Teile gegliedert: In einem theoretischen Teil werden sieben Thesen zum Märchen aufgestellt und ausführlich erläutert. Im zweiten praktischen Teil werden vier Unterrichtsvorschläge zum Thema Märchen gemacht für die Jahrgangsstufe 3 und 4. Es ist Sahrs Anspruch, eine genaue Sachanalyse mit einer didaktischen Analyse zu verknüpfen, die im Unterricht nicht nur das Märchen als Erzählung thematisiert, sondern auch andere mediale Formen wie Märchenhörspiele, -filme oder -bilder miteinbezieht.
Die sieben Thesen zum Märchen sind sehr ausgewogene, wenig überraschende Thesen, die einen guten Überblick über das Märchen als Textgattung geben. Sie lauten z.B.: „Der Begriff ‚Märchen‘ lässt sich nicht eindeutig festlegen“ oder „Märchen sind vielfältig und lassen sich nur schwer klassifizieren“. Sahr liefert zu seinen Thesen ausführliche Erläuterungen, die einen guten Überblick über die Bedeutung des Märchens und seine pädagogische Relevanz bieten. Vor allem für angehende Lehrerinnen und Lehrer liefert er damit eine gut verständliche und profunde Einführung in das Thema „Märchen im Schulunterricht“.
Sahr thematisiert nicht nur die „Märchenphantasie“ oder die Problematik einer „Märchendefinition“, sondern greift auch aktuellere pädagogische Debatten auf wie den generellen Streit um den Unterrichtsgegenstand „Märchen“ heute oder die Grenzen und Möglichkeiten einer kreativen Texterschließung. Dabei geht er stets auf verschiedene medialen Ausdrucksformen von Märchen ein. Jede seiner sieben Thesen schließt mit einem thematischen Exkurs zu einem jeweils relevanten Stichwort ab und gibt z.B. Hinweise, wie man Märchen sinnvoll analysieren sollte, wie man Märchenfilme didaktisch adäquat in den Unterricht einbindet, oder welche empirisch nachweisbare Wirkungen die Märchenlektüre bei Kindern hat.
Im zweiten Teil liefert Sahr vier konkrete unterrichtspraktische Beispiele. Im ersten Beispiel geht es um das Grimmsche Märchen „Hans im Glück“. Dieser Entwurf, der sich für eine vierte Klasse eignet, besteht aus drei Sequenzen: 1. Einstieg und Erarbeitung des Textverständnisses, 2. Das Sprechen, also die Bewertung der Handlung in Verbindung mit philosophischen Ansätzen, indem das zentrale Märchenthema „Glück“ thematisiert wird. 3. Eine produktive Textauseinandersetzung mit mehreren Vorschlägen, indem man z.B. das Märchen weiterzuschreibt, Bilder malt, Lieder singt o.ä.
Die weiteren Unterrichtsvorschläge sind vom Aufbau her ähnlich konzipiert, zum Teil für höhere Grundschulklassen, aber mit jeweils anderen inhaltlichen Schwerpunkten. Im zweiten Vorschlag geht es um Andersens Märchen „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“, das mit einer Filmversion des Märchens verglichen wird. Im dritten Vorschlag wird der Froschkönig der Grimms mit der Märchenparodie von Janosch verglichen, während es im vierten Vorschlag um das märchenhafte Bilderbuch „Ein Buch für Bruno“ von Nikolaus Heidelbach geht.
Fazit: Insgesamt war das Buch für mich eine kleine Entdeckung. Es liefert einen guten Überblick über das Märchen und den märchenpädagogischen Umgang im Grundschulunterricht und bietet anregende und praktikable Unterrichtsideen. Mir gefällt auch die didaktische Struktur des Buchs selbst: Der zweiteilige Aufbau, die sieben Thesen und die daran anschließenden Stichwörter im ersten Teil, sowie die Unterrichtsideen im zweiten Teil, die jeweils gute Erläuterungen und Sachanalysen bieten. Mein einziger Kritikpunkt ist, dass das Weiterlesen und -forschen zuweilen erschwert wird, da nicht alle zitierte Literatur im Literaturverzeichnis aufzufinden ist. (O. Geister)