Buch: Wardetzky, Kristin und Dirk Nowakowski (Hrsg.): Kinder schaffen das. Märchen von mutigen und klugen Mädchen und Jungen aus aller Welt. Münster (2021)
Ausstattung: gebunden, 143 Seiten.
Inhalt: 34 Märchen aus aller Welt mit einem Vorwort von Kristin Wardetzky und einem kurzen, aber lesenswerten Abschluss-Essay von Helge Gerndt.
Kurzbewertung: Eine ansprechende Märchensammlung, die gut geeignet ist als Vorlesebuch. Denn Kinder sind es, die in diesen Märchen die Hauptrolle spielen.
Rezension
„Die Märchen sind wahr: In der Phantasie“, sagte ein neunjähriges Mädchen. Mit diesem schönen Zitat beginnt die Märchensammlung, deren Publikation gefördert wurde durch die Märchenstiftung Walter Kahn und dem Verein ErzählKunst e.V. Präsentiert werden 34 Märchen aus 25 Ländern. Diese Märchen haben die Gemeinsamkeit, dass sie jeweils von einem Kind erzählen, das Herausforderungen, Abenteuer und Gefahren durchzustehen hat. Selbstverständlich enden die Märchen gut, denn: „Kinder schaffen das“!
Zusammengetragen haben die beiden Herausgeber Märchen aus den unterschiedlichsten Ecken dieser Erde: aus Amerika (Mexiko, Chile, Creek), Afrika (u.a. Saudi-Arabien, Botswana) Europa (u.a. Kärnten, Dänemark, Bulgarien) und Asien (Tibet, China, Vietnam, Mongolei, Dagestan usw.), die den größten Anteil dieser internationalen Märchensammlung ausmachen. Neben einem Glossar (S. 136-137), das unbekannte oder schwierige Begriffe erläutert, finden sich hinten im Buch exakte Quellenangaben zu den Märchen. Diese verdeutlichen, dass die Märchen oft eigenständige Erzählfassungen sind und somit nicht immer dem Originalwortlaut der Quellen folgen.
Hervorzuheben ist, dass die Märchen sich nicht nur inhaltlich, sondern auch aufgrund der Kürze gut zum Vorlesen eigenen (sie sind jeweils ca. 2-6 Seiten lang). Die Texte sind zwar nicht illustriert, doch beginnt jedes Märchen mit einer Miniatur, die auf die Erzählung einstimmt.
Mutig ist, dass auch zum Teil drastische Grausamkeiten in einzelnen Märchen nicht ausgespart werden. Der einzige Beitrag aus Deutschland ist ausgerechnet das Märchen „Fitchers Vogel“, eines der grausamsten Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm (vgl. Achtung Böse (PDF)). Bei der hier präsentierten Fassung werden die geschilderten Gewalttätigkeiten kaum abgemildert. Als der Hexenmeister die junge Frau überführt, da sie die verbotene Kammer geöffnet und dort die toten, zerhauenen Menschen erblickt hat, bestraft er sie aufs Brutalste: „Er warf sie nieder, schleifte sie an den Haaren hin, schlug ihr das Haupt auf dem Blocke ab und zerhackte sie, daß ihr Blut auf dem Boden dahinfloß. Dann warf er sie zu den übrigen ins Becken.“ (KHM 46). Bei Wardetzky und Nowakowski liest sich diese Stelle so: „Er zog sie an den Haaren hinein, zerhackte sie, dass ihr rotes Blut auf die Erde floss, und warf sie zu den Übrigen ins Becken“ (S. 83). Ob man dieses Märchen – auch in dieser nur geringfügig abgemilderten Fassung – jungen Kindern so präsentieren möchte, sei dahingestellt. In jedem Fall ist es ratsam als Erzieher/in, die Märchen zunächst für sich zu lesen, bevor man sie Kindern darbietet. Aber entsprechend dem Titel kann man natürlich auch die Auffassung vertreten: „Kinder schaffen das“!
Fazit: Eine internationale Märchensammlung, die anregt zum Vorlesen oder – noch besser – zum Nacherzählen. Die Märchen mögen eher unbekannt sein, aber viele der Märchenmotive werden den Zuhörenden bekannt vorkommen, sodass sich dieses Buch hervorragend für interkulturelles Lernen eignet. Die Märchen zeigen, dass es zwischen den Kulturen vieles Verbindendes zu entdecken gibt und verweisen damit auf das schöne Motto, das der Sammlung vorangestellt ist: „Die Märchen sind wahr“. Schön, dass solche Bücher noch heute publiziert werden.